Die Krönung meiner Wanderungen durch die Nationalparks der Pyrenäen sollte ein Abstecher in den Zwergstaat Andorra werden. Alles rund um meinen Aufenthalt in Andorra da Vella erfahrt ihr in diesem Artikel.
Der Weg nach Andorra
Meine Entscheidung, dem Kleinstaat in den Pyrenäen einen Besuch abzustatten, fiel eigentlich ganz unbewusst nach der Routenänderung in Bilbao. Dieses Land hat mich schon immer irgendwie fasziniert; vor allem deswegen, weil ich nicht viel darüber wusste und man sich bei seinem Namen ("Andorra" klingt irgendwie fantastisch) und seiner Lage ganz abgeschieden in der hohen Bergwelt zwischen Frankreich und Spanien alles Mögliche vorstellen konnte. Außerdem ist das ein Gebiet, wo man so schnell nicht wieder hinkommt, und wenn man schonmal unmittelbar dran vorbeifährt...
Die Fahrt nach Andorra war okey, es ging immernoch größtenteils über die N-260, diesmal in ausgedehnten Serpentinen entlang von großen, bewaldeten Bergen.
Das Frischwasser ist ja wie erwähnt kein großes Problem in Spanien, beim Abwasser sieht es schon anders aus. Mein 20-L-Tank hält zwar deutlich länger durch als sein sauberes Äquivalent, aber die Brühe schleppte ich mittlerweile seit Elorriaga Auzoa mit mir herum und damit war auch langsam das geruchstechnische Maß voll. Der nächste Versorgungsplatz befand sich 10 Kilometer vor Andorra im Städtchen La Seu d'Urgell. War ein ziemlich verwahrloster Stellplatz aber wenigstens konnte ich mein Grauwasser da kostenlos entsorgen.
Stadtbesichtigung La Seu d'Urgell
Es war früher Mittag und so entschied ich mich spontan, mal ein bisschen die Stadt zu erkunden. Die Stadtkarte in der Touristinfo war eine der übersichtlichsten und am schönsten gestalteten, die ich bis jetzt mitgenommen habe (fast alle Stadtpläne flacken mittlerweile irgendwo in HORA rum, ich glaub sortiert sind die ein ganz schönes Andenken). Nach dem Besuch des Bankautomaten, der durch Buchungsoption "girocard" keine Gebühren verlangte, sah ich mich ein bisschen in der Stadt um. War wohl wegen ihrer besonderen Lage ein wichtiges Transitzentrum bis in die frühe Neuzeit und dementsprechend reich. Das hat sich heute etwas relativiert, aber es ist trotzdem noch ganz ansehnlich gewesen.

Ich hatte Hunger und der von der Catalunya Caixa verursachte Geldsegen stimmten mich irgendwie auf ein Restaurant ein. Also suchte ich mir spontan ein Paella-Lokal in einer Seitenstraße und wählte aus der bebilderten Angebots-Karte eine für mich optimale Mischung aus Preis und ansprechendem Produktfoto aus. Das zwanzig Minuten später eintreffende Ergebnis konnte mich irgendwie so gar nicht überzeugen... zusammengekochte kurze Macaroni in einem Extrakt aus Rinderbrühe mit irgendwelchen Ochsenschwanzstückchen. Zumindest die Paprika oder die Erbsen vom Foto wären schon noch nett gewesen. Aber ich war nicht in der Laune mich zu beschweren und ging es nach einer Stunde weiter durch die Stadt.

In la Seu d'Urgell fanden während der Olympischen Spiele 92 die Kanumeisterschaften statt, weswegen ein größerer Stadtpark um den Kurs entworfen wurde. Hier vertrat ich mir noch ein bisschen die Beine, bevor es engültig zu HORA zurückging.

Auf nach Andorra!
Da die Grenze nicht mehr weit war, ging das letzte Stück Richtung neues Land auch relativ fix. Man fährt von la Seu d'Urgell aus in einen Tunnel und ein enges Tal, das einen komplett schluckt und in Andorra wieder ausspuckt... trägt natürlich auch ein bisschen zur Mystik dieses Ortes bei. Grenze muss man übrigens wörtlich nehmen: Da Andorra kein Mitglied des Schengen-Raums ist gibts hier gute alte Zoll- und Polizeianlagen von spanischer und andorranischer Seite. Wobei natürlich klar ist, wo kontrolliert wird: Auf dem Parkplatz vor der spanischen Grenzstation stauten sich die katalonischen Tagestouristen, die es v.a. wegen dem günstigen Sprit, Zigaretten und Alkohol ins Nachbarland zieht.
Bei den Dieselpreisen muss man wirklich erstmal schlucken... bei 67 Cent pro Liter denkt man im ersten Moment eigentlich eher daran, dass die Anzeigen ja wohl spinnt. Aber wirklich, die haben da wohl fast keine Steuern drauf. Bin dann erstmal zum nächsten Einkaufszentrum gefahren (die wiederum sind wirklich alle aus Frankreich importiert) um mir v.a. W-Lan zu verschaffen (Andorra hat ein eigenes Mobilfunknetz). Das mit dem Alkohol musste ich natürlich auch gleich mal nachprüfen, fand ich aber ein weniger überzeugendes Argument. Außer, dass man hier den Glenfiddich in 7-liter-Flaschen kaufen kann sind die Preise hochgerechnet eigentlich ganz angemessen.
Mein Reiseziel in Andorra waren die Berge über der Doppelstadt Andorra la Vella und Escaldes, in der der größte Teil der gut 76 000 Einwohner des Landes leben. Andorra la Vella ist dabei die eigentliche Hauptstadt des Landes. Die Geschichte des Landes ist eigentlich eher unaufregend. Schon in der Eiszeit besiedelt, war seit dem Mittelalter immer wieder Zankapfel zwischen dem spanischen Bischof von Urgell und dem französischen Grafen von Foix. Diese Doppelzugehörigkeit hat sich bis heute erhalten. Die formellen Staatsoberhäupter (Kofürsten) sind jeweils der amtierende französische Präsident und der Bischof von Urgell. Außer in verteidigungspolitischen Angelegenheiten (Militär hat Andorra nicht) haben die beiden allerdings nichts zu melden, seit 1993 hat Andorra eine Verfassung und ist demokratisch-parlamentarisch organisiert.
Um meinen Parkplatz zu erreichen musste ich erst einmal ein bisschen in die Stadt fahren und dann einen weiten Aufstieg auf den Berg nehmen. Die Straße hat mich von ihrer Beschaffenheit ein bisschen an ein Autorennspiel bzw. an Tokio Drift aus der TFTF-Reihe erinnert. Und ein bisschen so fahren die Andorraner auch. Klar, die kennen ihre Berge und ihre Karren meistens wesentlich besser als die Besucher, aber wenn man bei jeder Kurve die man nimmt Gummi auf der Straße lässt ist das auf die Dauer irgendwie nicht so gut.

Der kostenlose Parkplatz la etwas oberhalb der Alberga La Comella und grenzte, wieder einmal, an einen öffentlichen Picknickplatz. Den Abend verbrachte ich reiseberichteschreibend und buchlesend im Auto, die 4 Kilometer Bergstraße wollte ich nicht mehr ins Tal hinunter.
Andorra la Vella
Am nächsten Tag war die Stadtbesichtigung angesetzt. Nach ein paar hundert Metern Richtung la Vella hielt neben mir ein Typ in meinem Alter an und fragte mich, ob er mich mitnehmen kann. Hab natürlich zugesagt und schon preschten wir den Berg hinunter. War ein echter Andorraner (bei 1,5 Millionen Touristen können die schon mal untergehen) und er erzählte mir ein bisschen von sich und von Andorra. Rausgelassen wurde ich dann netterweise direkt vor der Touristinfo, einfach mitten auf der Fahrbahn mit Warnblinker.
Das Mädel in der Touristinfo war ebenso nett und erklärte mir nach den wichtigsten Orten in Andorra la Vella auch noch einige interessante Wandertouren in die Bergwelt von Andorra sowie die dazugehörigen Busverbindungen. Eingedeckt mit Massen von Infomaterial machte ich mich so auf den Rundweg durch den Ort.



Auch wenn es einen hübschen historischen Stadtkern gibt, fällt es schnell auf, mit was dieser Staat sein Geld macht. Luxusboutiquen reihten sich an große Shopping Mals und Restaurants. Porsche, Maserati und Tesla drängen sich durch die engen Straßen, während auf den Bürgersteigen aufgetakelte Mädels in extrem kurzen Röcken im Arm von irgendwelchen protzigen, älteren Typen vorbeistöckeln. Über allem thronten die großen Gebäude der Privatbanken. Andorra ist, wie viele Zwergstaaten, eine Steueroase. Ich finde das auch irgendwie schwer zu verübeln, das Land hat keinerlei Ressourcen und viel zu wenig Einwohner um da jetzt groß einen auf Dienstleistungsnation abseits des Finanzsektors zu machen. Der Wintersporttourismus bringt auch noch einmal Geld in die Kassen, aber den größten Erfolg haben wohl die Banken. Dabei muss man dazu sagen, dass die meisten Andorraner und auch die meisten Touristen trotzdem ziemlich durchschnittliche Leute sind, auch wenn manche hier ihren (ausländischen) Reichtum zur Schau stellen hat man nie das Gefühl, man ist in irgeneiner abgehobenen Parallelgesellschaft gelandet.

Nach 2 1/2 Stunden hatte ich für mich beschlossen alles gesehen zu haben und landete im Stadtpark von la Vella. Das war ein bisschen blöd, weil der Tag noch zu viele Stunden hatte um zu HORA zurückzukehren, aber zu wenig um einen er Wandertouren anzupeilen. Die Begleithefte zum Thema Kultur waren auch schnell durchgearbeitet. Ärgerlicherweise leben zwar die meisten Menschen in diesem Tal, die meisten Museen und Ausstellungen sind aber in Orten außerhalb untergebracht.

Ich hatte bei der Stadtbesichtigung ein paar Postkarten gekauft und beschloss, mich diesen nun zu widmen. Außerdem hatte ich Lust auf ein Eis. Also ging zurück zur Touristinfo mit der Frage nach einem Stift und der besten Eisdiele der Stadt. Die Frau vom ersten Besuch schenkte mir den Stift und gab mir eine neue Markierung in mein Kartenmaterial. Außerdem schrieb sie mir ihren Facebook-Namen auf. Die Leute in der Touristinfo erfassen meistens aus statistischen Gründen die Nationalität ihrer Besucher und schon bei der Verabschiedung fiel mir auf, dass sie sich sehr darüber gefreut hatte, dass ich Deutscher bin. Falls ich mal einen "exchange" machen wollen würde, meinte sie sollten wir doch mal Kontakt aufnehmen. So kam eins zum anderen und ich bekam auf Nachfrage auch noch ihre Handynummer mit dem Versprechen, dass wir uns nach dem Ende ihrer Schicht treffen könnten.
Ganz beschwingt machte ich mich auf zur eingezeichneten Eisdiele. Der Amarena-Becher war wirklich nicht schlecht und die Hälfte der Karten schnell geschrieben. Auch wenn sich Andorra durch die Sprache eher Richtung Spanien orientiert ist (Katalanisch ist Amtssprache, ein Grund für die katalonischen Sezessionisten ein bisschen neidisch zu sein) merkt man z.B. am Postsystem die "Doppelzugehörigkeit" des kleinen Landes. Sowohl die französische Poste als auch der Spanische Correos unterhalten ein Postsystem in Andorra. Postkarten schickt man laut der Postkartenverkäuferin am besten über die Franzosen, die wären schneller. Da meine erste Charge Postkarten teilweise mit zwei Wochen Verzögerung angekommen ist spricht das nicht gerade für die Spanier, aber was solls.

Die Touristinfofrau passte mich in dem Moment ab, in dem ich auf WhatApp die genaue Zeit und den Treffpunkt ausmachen wollte. So konnten wir uns mündlich auf den späten Nachmittag an der Dalí-Uhr verabreden.

Laura
Wir sind dann noch ein bisschen durch die historische Altstadt gelaufen, bevor wir uns in einem österreichisch angehauchten Kaffee-/Teehaus niederließen und einen grünen Eistee tranken (Grüntee ist nicht meins, als Eistee wars gar nicht schlecht). Wir haben uns gut unterhalten und sind gleich auf viele Ähnlichkeiten zwischen uns, v.a. was den Musikgeschmack angeht, gekommen. Laura, so heißt sie, hat ein großes Faible für Rammstein und Tokio Hotel. Gut, das relativiert teilweise das eben gesagte (es ging v.a. um die Genres, wir mögen im Prinzip alles bis auf so Latinozeugsel und hören aktuell auch ähnliche Lieder); Tokio Hotel ist.... naja... nicht mein Fall. Aber man muss ihnen einfach zuerkennen, dass sie vor 10 Jahren einen regelrechten Hype unter kleinen Teenager-Mädchen ausgelöst haben und in ganz Europa die Leute dazu brachten, Deutsch zu lernen bzw. sich mit Deutschland auseinanderzusetzen. Ähnlich ist es mit Rammstein, sie ist die international erfolgreichste deutsche Band, kann man machen was man will. Bei Rammstein konnte ich auch noch ein bisschen mitreden, einige Lieder von denen höre ich immernoch und kann sie sogar auswendig (was bei mir nicht häufig vorkommt, bin furchtbar schlecht im Liedtexte merken). Die Liedtexte von Rammstein sind außerdem grammatikalisch sehr simpel gehalten, lassen aber doch relativ viel Interpretationsspielraum übrig — perfekt für Leute, die Deutsch lernen wollen bzw. für den Schulunterricht, hab schon öfter von Deutschstunden mit dem Lied "Seemann" gehört, die ganz gut angekommen sollen. Naja, aber zurück zu Laura.
Ich war ziemlich geflasht, wie viele Sprachen die Frau drauf hatte. Klar, sie arbeitet in der Touristinfo, da muss man sich grob in allen großen Sprachen auskennen, aber wer Spanisch, Französisch, Portugiesisch und Englisch mehr oder weniger fließend spricht und sich nebenbei noch mit Deutsch, Russisch und Latein auseinandersetzt, der hat bei mir schon nen großen Stein im Brett. Außerdem ist Laura erfrischend offen und direkt, hat mir auf den Kopf zugesagt, dass sie sich unbedingt mit mir treffen wollte, weil ich in der Touriinfo so viel gelächelt habe. Das schmeichelt einem natürlich. Nach ein paar Stunden musste sie sich leider zum Essen verabschieden (daran, dass die Spanier/Andorraner/... erst um 9 oder noch später essen werde ich mich wohl nicht gewöhnen) und begleitete mich zum Bus Richtung la Comella, den wir in der Touristinfo gemeinsam herausgesucht hatten. Leider kam das doofe Ding nicht, und da sie wirklich weiter musste spiefelte ich alleine Richtung Serpentinenstraße zurück.
Abenteuerlicher Heimweg
Als ich am Vortag den Berg nach oben gekurvt bin habe ich einen kleinen Wanderweg ausmachen können, der eindeutig Richtung La Vella führte und mit den Farben Rot und Weiß gekennzeichnet war. Diesen Weg wollte ich jetzt einschlagen, um nicht die 4 km auf der Straße laufen zu müssen. Das ist hier zwar durchaus üblich, aber angesichts der Geschwindigkeiten der Autofahrer hatte ich da keinen Bock drauf. Relativ schnell fand ich den Anfang des Pfades und begann motiviert meinen Aufstieg. Da der Wanderweg fast gerade hoch führte war das Ganze relativ steil und ich schnell angestrengt. Ich überquerte öfter einmal die Pyrenäenstraße und bewegte mich langsam aber sicher in westliche Richtung den Berg hoch, obwohl ich HORA eigentlich im Osten vermutete. Nach einer halben Stunde kamen mir zwei Läufer entgegen, die ich nach dem Weg zur La Comella fragte. Sie gaben mir zu verstehen, dass sie nicht genau wissen, wie man da hin kommt und dass sie von einer Schotterpiste kommen, von der man noch ein ganzes Stück auf die richtige asphaltierte Straße braucht. War zu diesem Zeitpunkt noch keine Option, weil ich immernoch der Überzeugung war, ja wohl dem Richtigen Pfad gefolgt zu sein. Ich traf die Läufer an einer Weggabelung, die Richtung Osten führte und bedankte mich für ihre Hilfe. Die Frau fragte Vorsichtshalber, ob ich denn ein Licht und genug Wasser dabei hätte. Ich winkte ab; klar hab ich das, und ich meine ich bin am richtigen Berg, so weit wird es ja nicht mehr sein. Wenn ich nur gewusst hätte...

Ich folge also dem dünnen Pfad nach Osten und versuchte mich zu orientieren. Langsam wurde ich mir bei den Straßenverhältnissen immer unsicherer: Ist das noch die CS-101, auf die ich musste? Das sieht aus dieser Perspektive gar nicht so aus... Nach einer weiteren halben Stunde beschloss ich, das Experiment Wanderweg abzubrechen und möglichst schnell zur Straße zurückzukehren, egal welche es auch sein mochte. Als Orientierung diente mir eine Mülltrennungsanlage (zumindest nahm ich das an) ein paar hundert Meter Luftlinie von mir entfernt. Ich lief schnurstrakts darauf zu, doch kurz vor meinem Ziel machte der Weg eine Biegung und führte mich wieder weg von Gebäude und Straße.
Jetzt wurde es wirklich unheimlich. Sollte mal jemand einen Thriller in den Pyrenäen spielen lassen wollen, dann sollte er sich für seinen Showdown definitiv diese Gegend ansehen. In den Schatten der Bäume geduckt befanden sich einige mehr oder weniger verwahrloste Häuser und Schuppen in diesem Wald, die nur durch schlecht instand gesetzte Schotterwege verbunden waren. Überall hörte man aggressives Hundgebell und sah streunende Katzen, die einen lange beäugten. Man kam aber keinen einzigen Menschen zu gesicht, obwohl klar war, das einige dieser Häuser bewohnt sein mussten. Stattdessen musste ich immer wieder die halb eingewachsenen "Privatweg - Durchgang strengstens verboten!"-Schilder ignorieren und mich zwischen ausrangierten Waschmaschinen und moosbedeckten Schneemobilen in der eingebrochenen Dunkelheit mit "Olá!"-Rufen bemerkbar machen. Mein Handy hatte nur noch 10% Akkuladung, das reichte wenns hochkommt für eine viertel Stunde Licht. Außerdem bekam ich nicht mal mehr eine Verbindung für Notrufe rein. Zeit war also ein Faktor geworden. Ich klingelte sogar an manchen dieser Gruselhütten und versuchte deren Bewohner ausfindig zu machen, die einfach da sein mussten (die Motorhaube eines geparkten Geländewagens war z.B. noch warm). Aber niemand reagierte. Nachdem mir dann auch noch von zwei knurrenden, freilaufenden Hunden der Weg abgeschnitten wurde, stieg allmählich die Panik in mir auf. Ich bewaffnete mich mit einem Stock und versuchte die beiden großräumig zu umgehen, trotzdem kamen sie immer wieder kläffend und in die Luft schnappend nach mir gerannt. Im "Garten" eines dieser verfallenen Häuser entdeckte ich schließlich einen Weg, der einfach bei der Mülltrennungsanlage enden musste, einen anderen Sinn hätte er sonst nicht gehabt. Also schlug ich mich ins und durchs Gebüsch. Ziemlich viele Spinnennetze wurden dabei zerstört und deren Erbauerrinnen nisteten sich ersatzweise in meinen Haaren ein, aber das war mir angesicht der Hunde, die die Verfolgung aufgenommen hatten, relativ egal. Nach einigen Minuten schnellen Gehens und dem Verlassen des Reviers meiner Verfolger gelangte ich endlich an den Fuß den großen Steinplateaus, auf dem die Müllverbrennung stand.
Mittlerweile war es komplett Dunkel geworden. Ich war 30 Meter von der Straße und vielleicht 10 Meter von den ersten Türen des Gebäudes entfernt. Trotzdem war beides auf Grund der Steilhänge unerreichbar. Wieder musste ich mir Wege durchs Gebüsch suchen und mich darauf verlassen, dass diejenigen, die diese Trampelpfade angelegt hatten, ja wohl irgendwie von einem meiner beiden Ziele ausgegangen sein mussten. Zum Glück erreichte ich nach nach kurzer Zeit einen kleinen Schotterweg, der tatsächlich in den Hinterhof der Müllverbrennung führte. Eine riesige Last fiel von mir ab. Die Anlage war noch beleuchtet, aber auch hier schien niemand da zu sein. Bald kam ich auch an die Serpentinenstraße, die ich immer in meiner Nähe hatte, aber nie erreichen konnte. CS-102. Fuck! Das ist doch nicht die Straße, die ich hergekommen bin? Eine Zeit lang versuchte ich mich als verzweifelter Anhalter, aber die Leute traten bei meinem Anblick das Gaspedal durch. Scheint wohl nicht nur für mich eine unheimliche Gegend gewesen zu sein. Ich entschied mich bergaufwärts weiter zu gehen, irgendwann musste ich ja irgendjemanden treffen. Zum Glück stand um eine Biegung eine kleine Reihenhaussiedlung, bei der ich auf den erstbesten Klingelknopf drückte und ich versuchte durchzufragen. Glücklicherweise befand ich mich tatsächlich auf dem Weg zur Alberga (die Straße war nur bis just hier her als CS-102 statt wie in Google Maps als CS-101 gekennzeichnet...), hatte aber durch meine anderthalbstündigen Irrlauf gerade einmal einen Kilometer gewonnen.

Nach einer Odysse von drei Stunden kam ich ziemlich ausgelaugt aber glücklich bei HORA an. Außer mich von allen Unterholzüberresten zu befreien blieb dann auch nichts weiter zu tun als ins Bett zu fallen.
Chaotischer Neustart
Da ich in den Pyrenäen bis jetzt immer nur Halb oder Zwei-Drittel-Tagestouren gelaufen bin wollte ich es am zweiten Tage in Andorra eigentlich einmal mit einer Ganztagestour zu einem total abgelegenen Bergsee versuchen. Laura hatte mir diese Route empfohlen und ich sollte wohl insgesamt acht Stunden reine Laufzeit einplanen. Außerdem war der Start in den Camin de Fonts nicht in meiner Nähe (hier hätte es zwar auch einen gegeben, aber der war zu hart angeblich), sondern man musste mit dem Bus von la Vella aus in die Berge kurven.
Der erste Fehlstart ergab sich schon aus meinem nächtlichen überlangen Ausflug: Ich hatte verschlafen. Nach 10 Uhr war ich dann soweit abmarschbereit, um es wie die ganzen anderen Andorraner einfach an der Straße ins Tal zu versuchen. Dabei machte sich die Hüfte wieder bemerkbar und ich war froh um meinen Wanderstock. Auf dem Weg in die Hauptstadt verstand ich auch endlich meinen Fehler des Vorabends. Der richtige Pfad hatte eine Rot-Weiße Markierung, ich hingegen bin auf dem Heimweg Weiß-Rot nachgelaufen....
Als ich an der betreffenden Bustation angekommen bin war es schon zwölf. Der nächste Bus fuhr allerdings erst um 13.30 Uhr, definitiv zu spät für so eine Wandertour. Also entschied ich mich für ein Ersatzziel, den Lac Engolasters. Ist ein kleiner Stausee, der von Andorra la Vella und Escaldes als Frischwasserreservoir und Wasserkraftwerk genutzt wird. Außerdem fragte ich Laura, ob sie vielleicht im Anschluss nochmal Zeit hätte.

Die Fahrt zum Engolasters ging ziemlich fix, v.a. weil der Busfahrer alles aus der Bahn hupte, was seiner halsbrecherischen Geschwindigkeit nicht entsprach. Oben bin ich dann ein bisschen herumgewandert und, habe mich noch einmal in die andorranische Sonne gelegt und die letzten Karten fertig geschrieben. Der Engolasters war ganz schön, aber ich glaube der Natursee hätte es noch mehr gebracht. Naja, selbst schuld.
Schwarztee und heiße Schokolade
Pünktlich zu meiner Rückkehr ins Tal setzte ein Gewitterschauer ein, was sowohl Laura als auch mich sehr glücklich machte (wir mögens ned so warm...). Sie holte mich nachdem das Gröbste überstanden war aus einem nahegelegenen Einkaufszentrum ab und wir zogen nochmal durch die Stadt. Diesmal war das Ziel ein "normales" Café. Bei Tee und heißer Schokolade (gute, schweizerische, schön dickflüssige heiße Schokolade! Ich durfte mal probieren. Hab ich glaub ich noch nie getrunken) setzten wir unser Gespräch vom Vortag fort bzw. intensivierten es weiter.
Auch wenn wir uns in den allermeisten Fällen irgendwie verständigen konnten nervte mich mein Englisch mit der Zeit ziemlich an. Ich kann schriftsprachlich relativ problemlos in Umgangssprache schreiben. Beim mündlichen kommt mir aber ständig die deutsche Grammatik dazwischen. Und dann weiß ich zwar, dass es so wie ich es sagen möchte grundfalsch ist, komme aber nicht auf die richtige Lösung. Das frustiert und führt öfter dazu, dass ich meine Sätze mittendrin abbrechen musste, weil ich einfach nicht mehr weiter wusste. Laura baut teilweise noch schiefere Sätze als ich, aber sie schert sich da nicht weiter drum. Sollte ich mir auch mal angewöhnen.
Alles in allem habe ich in diesen beiden Tagen eine echte Freundin in Andorra gefunden. Das ist ziemlich cool, nicht nur, weil es so ein "exklusives" Land ist. Wir verstehen uns wirklich gut und haben auch nach meiner Abreise immer wieder hin und hergeschrieben; ich hoffe, dass sie mich oder ich sie bald mal besuchen kann. Normalerweise stehe ich solchen "Jaja, wir müssen uns auf jeden Fall wiedersehen!"-Sachen sehr skeptisch gegenüber, aber ich glaube bei ihr klappt das, v.a. wegen den ähnlichen Interessen und der komplettierenden "Taktung". Sie studiert außerdem in Barcelona, und von dort ist es wesentlich leichter weg- bzw. hinzukommen als in die Pyrenäen.
Um das Drama vom Vorabend nicht nochmal zu wiederholen gings kurz vor Ladenschluss nochmal in die Touristinfo um das mit der Linie zu klären. Nach übereinstimmender Meinung hätte der Bus eigentlich fahren sollen. Mh. Naja, sie hat mich dann zur nächsten Bushaltestelle begleitet und tapfer mit mir eine dreiviertel Stunde gewartet, in der laut Plan eigentlich 3 Busse hätten durchfahren müssen. Kein einziger ist gekommen, obwohl wir auch Busfahrer von anderen Linien gefragt hatten. Seltsame Phatombusse haben die in Andorra.
Nach einer dreiviertel Stunde war ich dann so weichgeklopft, dass ich mir das Geld fürs Taxi zugestanden habe. Laura war auch ziemlich niedergeschlagen; wäre ich an ihrer Stelle wohl auch gewesen... Naja, und da sie sich wohl was am Knie getan hatte und meinen Wanderstock begeistert adoptierte gehört er jetzt ihr. Ich glaube nicht mehr, dass ich in Italien irgendwas Richtung Wandern unternehme, dafür langt wohl die Zeit nicht. Also konnte ich ihn getrost in gute Hände geben.
Abschied von Andorra
Am nächsten Tag hieß es dann auch schon Abschied nehmen. Ich wollte unbedingt noch Sonntags nach Barcelona, weil ich die Geschichte mit der Fähre (W-Fragen beantworten) möglichst bald, d.h. am Montag, geklärt haben wollte. Klar haben die einen FAQ auf ihrer Seite und schicken auch Zusatzmaterial, aber das Terminal schonmal gesehen zu haben und nach der Ablaufprozedur zu fragen, kann nicht schaden und gab mir ein bisschen Sicherheit. Ist natürlich kacke, dass man wenn man sich doch mal ein Zeitlimit setzt genau dann nen netten Menschen kennenlernt, aber so ist das nunmal.
Wäsche gewaschen musste auch werden. Laura hatte mir eine Adresse in Andorra gegeben, da traute ich mich aber nicht mit HORA zu parken. Die Supermärkte, die in Frankreich immer so eine zuverlässige Anlaufstelle für Wäscheautomaten waren, enttäuschten hier leider. Also nahm ich wenigstens den günstigen Diesel mit, wenn auch nicht ganz so billig wie die oben genannten 67 Cent, das war ne Clubtankstelle stellte sich im nachhinein raus. Beim Verlassen von Andorra dann die unvermeidliche Fahrzeugkontrolle :>. Wohnmobile und Camper ziehen die Spanier wohl grundsätzlich raus, bei dem Volumen wird die Verlockung einfach zu groß sein. Ich hatte allerdings keine anzumeldenden Waren dabei und wurde dementsprechend auch relativ schnell entlassen. Trotzdem muss man alles einmal aufmachen. Ist schon ein seltsames Gefühl. Zum einen bin ich ja ein großer Fan von Schengen, ohne dieses Abkommen hätte es wohl wesentlich mehr Stress gegeben. Aber so ein "Grenzfeeling", wie ich es aus meiner Kindheit bei Fahrten nach Tschechien kannte, war schon mal wieder interessant zu erleben.
Im Auto wars unglaublich heiß die Fahrt über, ich verstehe mittlerweile gut warum so viele Wohnmobilisten oben ohne fahren. Bin da jetzt auch zu über gegangen, es erspart einem ein durchgeschwitztes T-Shirt pro Nachmittag. Nach einer Stunde hatte ich den gröbsten Teil der Pyrenäen hinter mir und nach einer weiteren Stunde sickerte ich in den Großraum Barcelona ein. Das Straßennetz um die Metropolregion ist... lustig. Man versteht noch weniger als in Paris, wo es wenigstens einen Großen Ring als Orientierung gibt. Hier führen teilweise fünf Straßenbezeichnungen über die gleiche Strecke und unterscheiden sich nur hinsichtlich der Spur (Autovia links und ganz links, Nationalstraße mitte, "E-Straße" (was auch immer das ist) rechts). Tja, und dann knobelt man halt aus und wechselt munter hin und her. Dass rechts Überholen bei sowas zum guten Ton gehört versteht sich von selbst. Aber ich kam klar, man entwickelt einen gewissen Fatalismus der Situation gegenüber, á la "komme, was da wolle". Und soviel sei schonmal verraten: Italien habe ich ohne Unfall erreicht.
Barcelona geizte ein bisschen mit passenden Stellplätzen und ich entschied mich für eine Sackgasse hoch oben in den Bergen von la Florestal.
Weiter geht's mit meinem Reisebericht Barcelona und die Fähre nach Italien.