Das Ende der Reise

Das Ende der Reise

Venedig war meine letzte geplante Station in Italien, ein "Hinauszögern" der Rückkehr machte für mich nach drei Monaten keinen Sinn mehr. Von meinem Weg in und durch die bayerische Heimat berichtet der letzte Reisebericht.

Von Venedig nach Garmisch

Pünktlich zum ersten Oktober wollte ich wieder in Deutschland sein. Einerseits war ich mittlerweile wirklich gesättigt was Kultur, Natur und Erfahrungen anging. Noch ein paar Tage Südtirol reizten mich ehrlich gesagt überhaupt nicht mehr, auch wenn ich natürlich wusste, dass es da ganz schön ist. Andererseits war ich mittlerweile ziemlich klamm und da der erste Oktober ein Samstag war (+ verlängertes Wochenende), gab es in nächster Zeit auch nicht so viel auf dem Konto zu holen. Ein kurzzeitiges Überziehen geht mit meiner Bankkarte nur in Deutschland. Zugegeben, das war wirklich schlecht geplant, und ich hätte mir über die Übergangssituation am Wochenende mehr Gedanken machen sollen. Aber meine Mehrausgaben auf dem Campingplatz waren in Ravenna und Venedig irgendwie schon wieder im Hinterkopf verschwunden. Das nächste Problem war der Tank. Die Tanknadel zeigte noch knapp eine halbe Füllung an und das Navi errechnete eine 450-Kilometer-Route bis zur nächsten Shell-Tankstelle in Garmisch-Partenkirchen, wo ich meine mitgenommenen Tankgutscheine einlösen hätte können. Das konnte streckenmäßig funktionieren, musste aber nicht. Ich beschloss, erstmal einen viertel Tank zu verfahren und dann zu gucken, wie weit ich gekommen war und wie weit es noch gehen würde.

Die ersten zwei Stunden meiner Fahrt war ich in der Kreisverkehr-Hölle des venezianischen Molochs gefangen. Die Städte im Nordosten Italiens, von Bologna über Padua, Mestre/Venedig und Udine sind mehr oder weniger ineinander übergegangen und bilden ein zwar nicht sehr dichtes, aber riesiges Siedlungsgebiet (so eine Art Ruhrgebiet light), dessen Lebensadern aus einem Netz von Überlandstraßen mit vielen, vielen, vielen Kreisverkehren bestehen. Über das Kreisverkehrgekurve habe ich mich ja schon in Frankreich des öfteren ausgelassen; hier wurde es dann nochmal richtig schön absurd, ein Kreisverkehr alle 300 Meter oder so.

Als es dann bergiger wurde gingen die Straßenschnittstellen zurück und man konnte sich man für ein paar Kilometer länger geradeaus bewegen. Durch die allmählichen deutschen Spracheinsprengsel in der Beschilderung wurde einem dann auch immer klarer, dass man sich jetzt durch Südtirol bewegte. Umso weiter man in der Berge vordringt, desto mehr Platz nehmen Begriffe wie "Weingut", "Landgasthof" oder "Bauernspeck" ein; und irgendwann hört das mit dem Italienischen ganz auf, obwohl man noch kein Grenzschildchen gesehen hat. Es befanden sich mittlerweile auch deutlich mehr deutsche und österreichische als italienische Kennzeichen auf der Straße. Irgendwie befremdlich, obwohl es doch "heimatlicher" ist. Ich will nicht sagen, dass ich Frei.Wild verstehe, aber ich kann jetzt besser nachvollziehen, wie sie eine solche Attitüde in ihrem Text und ihrer Musik entwickeln konnten. Hier ist nichts an den Zentralstaat angepasst, und schon beim Durchfahren entsteht der Eindruck, man möchte alles Italienische schnellstmöglich abschütteln und lieber in den Grenzen von Anno dazumal leben.

Die Landschaft war mit ihrer imposanten Bergwelt und einem leicht ans Kitschige grenzenden, grünen Alpenidyll schon ziemlich schön. Auf der Straße ging es durch die vielen kleinen Traktoren, die wohl gerade für die Apfelernte eingesetzt wurden, eher schleppend voran.

Als die Tanknadeln die vorletzte Linie berührte, hielt ich an einem kleinen Rastplatz an. Ich hatte 270 Kilometer geschafft, 180 waren noch zu fahren. Wenn die Strecke nicht zu serpentinig werden würde und der Stau sich in Grenzen hielte, könnte es klappen. Außerdem musste ich darauf vertrauen, dass ich noch ca. 50 Kilometer weit kommen würde, wenn die Warnanzeige angehen würde. Hin- und hergerissen fand ich die Alternative, hier 2-3 Tage "festzustecken" nicht sonderlich berauschend. Nach einem genauen Check der Karte (die Straße führte in Österreich meistens durch Täler und an Flüssen entlang), wollte ich es versuchen und fuhr leicht nervös über die italienisch-österreichische Grenze.

Der sich schon seit geraumer Zeit ankündigende Wetterumschwung schlug jetzt voll durch: Die Temperaturen stürzten in den Keller, sodass ich zum ersten Mal auf meiner Reise das Gebläse von blau auf rot drehen musste. Außerdem steuerte ich bald durch heftige Regenschauer, die in regelmäßigen Abständen auf HORA niedergingen. Ansonsten war Österreich der Kitsch-Overkill. Wenn man nicht wüsste, dass es das Original ist, würde man vor lauter Friede-Freude-Eierkuchen-Atmosphäre Regenbogen kotzen wollen. Vermutlich bin ich ja einfach nur neidisch, nicht in solch dramatischen Schluchten zu wohnen und zwischen kleinen Holzkaten über sattgrüne Wiesen wandern zu können, während sich Wild- oder Zugspitze über einem erheben.

45 Kilometer vor dem Ziel sprang dann der Tankwarner an; gerade, als ich in steilen Serpentinen den Fernpass erkletterte. Die Anspannung erreichte jetzt ihren Höhepunkt und ich begann das Gaspedal noch vorsichtiger zu streicheln, als ich es in den letzten sieben Stunden bereits getan hatte. Nach weiteren 20 Kilometern rollte ich dann über die Grenze und nach einem mir endlos erscheinenden Weg über die B23 und durch den Garmischer Stadtverkehr kam ich endlich an der Tankstelle an. Die Tankgutscheine reichten fast aus, ein paar Euro musste ich drauflegen. Ich fuhr schnell auf den Nettoparkplatz nebenan, lief in die Stadt, um mir ein bisschen Geld für die nächsten Tage abzuheben und ging im Supermarkt einkaufen. Glücklich und zufrieden kehrte ich zum Auto zurück und verdrückte meine Supermarkt-Brezeln (ich weiß, ich bin ein kulturloser Wicht manchmal). Ich muss auch zugeben, dass sich ein bisschen ein "Veteranen-Gefühl" einstellte. Ich hatte es geschafft, HORA einigermaßen unbeschadet und eigenständig durch Europa zu bugsieren. Darauf war ich dann schon ein wenig stolz.

Dummerweise musste ich ein paar Minuten später feststellen, dass ich meine deutsche SIM-Karte wohl irgendwo verloren hatte. Da ich meiner Familie im Vorfeld ein bisschen mehr Panik gemacht hatte, als das vielleicht nötig gewesen wäre, fand ich mich dazu verpflichtet, nochmal nach WLAN zu suchen um Entwarnung geben zu können. Nachdem das erledigt war kehrte ich gleichzeitig totmüde und aufgekratzt zum Auto zurück und versuchte gleich einzuschlafen.

Im bayerischen Niemandsland und auf Freundebesuch

Am nächsten Tag wollte ich möglichst früh weiterfahren. Warum, weiß ich immer noch nicht genau, Garmisch-Partenkirchen ist zwar ein ganz schöner Ort, aber ich wollte einfach nicht mehr glaube ich. Außerdem war ich zwar in Deutschland, aber immernoch nicht angekommen. Das war ein schönes Gefühl, zwar kann man sich wieder in seiner Muttersprache verständigen, aber ich habe diesen südbayerischen Ort in etwa genauso fremdartig empfunden wie Städte in Spanien oder Italien. Hier kannte ich niemanden, die Architektur, das Straßenbild und der Dialekt — alles irgendwie vertraut und trotzdem ganz fremd. Ich wäre wieder als Tourist durch die Gegend gelatscht, und das Touristendasein hatte ich nach Italien wohl endgültig satt.

Das Weiterfahren gestaltete sich am Anfang etwas schwierig, weil ich die Schlagbäume, die links und rechts der Parkplatzeinfahrt standen am Samstag vor lauter Ankommensfreude leider übersehen hatte. Jetzt waren sier heruntergelassen, und da würden sie wohl auch bis zum Dienstag früh bleiben. Also mussten HORA und ich nach kurzem Erkunden einen "Ausbruch" über den angrenzenden Grünstreifen samt Fußgängerweg wagen, was auch problemlos klappte.

In den nächsten Tagen schlängelte ich mir meinen Weg durch die bayerischen Städte und Dörfer — immer zwischen HORA, den wärmenden Innenräumen von Fastfood-Ketten (hier konnte ich dank Strom und WLAN meine Reiseberichte schreiben) und den neuen Wohnungen meiner Freunde wechselnd. Im Auto lässt es sich mittlerweile nur noch in der Nacht aushalten, tagsüber bei 12 Grad herumzusitzen macht keinen Spaß mehr. Tja, und in der Nacht zum Donnerstag kehrte ich dann schließlich nach Bamberg, dem offiziellen Ausgangspunkt meiner Reise, zurück.

Das Ende der Reise

Neunzig Tage war ich unterwegs, habe gute 5 500 Kilometer hinter mich gebracht und dabei 410 Liter Diesel verfahren. Ich habe Paris gesehen; die Normandie, eine wunderschöne französische und spanische Atlantikküste, die Bergwelt der Pyrenäen mit dem winzigen Bergstaat Andorra und bin am Ende nach Italien übergesetzt, wo ich mich auf die Spuren des römischen Imperiums und der frühen Christenheit begab. Ich machte viele interessante Begegnungen, habe Freundschaft geschlossen, musste mich mit mehreren kleinen und einer großen Krise auseinandersetzen und war doch die meiste Zeit glücklich auf meiner Reise.

Eine "ausgebreitete" Reflexion über die persönlichen Veränderungen, die diese Reise mit sich gebracht hat, geht mir in diesem Rahmen zu weit, das ist ja hier immer noch eine öffentliche Website. Aber ich kann sagen, dass ich den alten Strukturen und Denkmustern, denen man wieder verfällt, wenn man an das anknüpft, was in Deutschland so auf einen wartet, etwas Neues entgegensetzen kann. Das hat jetzt nichts mit Selbstfindung oder sonst was zu tun, sondern ich war einfach mal weg; habe rein räumlich eine ganz andere Perspektive auf das alles hier eingenommen und weiß, dass ich diese immer wieder abrufen kann, wenn ich in "alte Muster" verfalle. Außerdem greift mein Hirn schon voll durch und beginnt aus diesen ganzen Erfahrungen in diesem Sommer eine einzige positive Erinnerungsstory zu basteln. Dem möchte ich mich nur zu gern anschließen; ich glaube auch, dass ich die letzten drei Monate nicht hätte besser verbringen können.

Als Allerletztes wollte ich noch sagen, dass ich es sehr schön finde, dass ihr das hier mitgelesen habt (auch die, von denen ich es bisher nicht wusste ;)) und ich mit den meisten auch immer wieder irgendwie in Kontakt stand — egal ob in kürzeren oder längeren Intervallen. Ich freue mich schon sehr darauf, den großen Teil, den ich bis jetzt noch nicht zu Gesicht bekommen habe, endlich wieder zu Treffen.

Bis bald! Florian, Herakles und HORA