Nach dem Museumsbesuch und der Besichtigung von Caen ging es von Hermanville ein paar Kilometer weiter westwärts an die umwerfende Steilküste von Longues-sûr-Mer, die mich für drei Tage in Beschlag nahm. Zwischendurch habe ich Bayeux mit samt seines berühmten Teppichs besichtigt.
Ab diesem Eintrag wird die Bedeutung des Artikeldatums geändert. Jetzt gib es Auskunft über den Tag des jeweiligen Ereignisses bzw. bei tagesübergreifenden Einträgen über den Tag der Ankunft. So kann man sich — wenn im Artikel z.B. von Wochentagen die Rede ist — besser zurechtfinden. Die neue Datierung wurde auch rückwirkend auf alle älteren Blogeinträge angewandt.
Das "Wow!"-Erlebnis
Als ich Richtung Longues-sûr-Mer losfuhr, wusste ich nicht genau, was mich erwarten würde. In meiner park4night-App (gute Stellplatz-App für Frankreich, crowdbasiert und fast alle der 24 000 Einträge auf französisch; trotzdem sehr hilfreich) wurden keine Bilder angezeigt, aber in der Beschreibung stand irgendetwas von "Parken direkt am Meer", was mich schnell überzeugte. Von Hermanville bis Longues waren es eigentlich nur ein paar Minuten.. zumindest, wenn nicht ein Strohschlepper den halben Weg lang mit 10 km/h vor einem hergefahren wäre, und das auf einer Straße, die exakt so breit war wie die Hinterachse des Traktors. Das ist mittlerweile schon öfter vorgekommen und wo ich am Anfang noch genervt reagiert habe bin ich jetzt mittlerweile soweit, dass ganze mit ein bisschen Abstand zu sehen. Ich bin ja nicht in Eile, und das Autofahren in Frankreich macht mir zur Zeit richtig Spaß. Also habe ich, wenn der Traktor mit seinem 5 Meter hohen Gespann die unteren Äste der Bäume am Straßenrand berührte, den Strohhalmen dabei zugesehen wie sie im Gegenlicht herunterrieselten, das Radio aufgedreht und immer wieder zwischen erstem und zweitem Gang hin- und hergeschalten.
Der Rastplatz in Longues-sûr-Mer liegt nahe einer deutschen Artillerie-Batterie aus dem zweiten Weltkrieg, dem touristischen Aushängeschild des Ortes. Man kann entweder direkt bei der Batterie übernachten (langweilig) oder noch ein Stück direkt an die Steilküste auf einen geschotterten Stellplatz fahren. Ich wurde nicht enttäuscht, der Platz, die Perspektive, die ganze Szenerie war genial.



Leider konnten meine Bilder nicht im Entferntesten einfangen, wie schön dieser Platz war. Ich weiß, dass es wesentlich steilere und beeindruckendere Küstenabschnitte gibt, irgendwo hinter Le Havre, aber das hier war trotzdem einmalig. Vom Stellplatz, an dem schon einige Wohnmobile geparkt hatten, führte eine kurze Serpentinenstraße hinunter zum Kieselstrand, an dem ein paar Franzosen noch damit beschäftigt waren, Muscheln zu sammeln.



Sun Worship
Zu einem großen Teil war die Sonne für diese gigantische Szene verantwortlich. Ich habe so etwas noch nie so wirklich erlebt aber in der Zeit von meiner Ankunft (wohl so um 7) bis zum Sonnenuntergang dominierte sie alles. Ich weiß nicht, wie ich das besser ausdrücken soll, es war einfach alles von ihr "beeinflusst", jeder Strauch, jede Klippe, jeder Stein, jeder Grashalm, jede Welle. Auch hier versagen meine Bilder leider wieder etwas und geben das Gefühl, dass dieser Ort vermittelte, nicht so recht wieder.



Und das ging nicht nur mir so, es gab eine regelrecht andächtige Stimmung unter den Campern, die schon länger dasaßen und die Landschaft und das Meer beobachteten; es war einfach mehr als ein schöner Sonenuntergang, den man sich eben so ansieht. An dem Abend ging mir "Photon" von Sun Worship nicht mehr aus dem Kopf. Ich bin mir fast sicher, dass die Jungs genauso einen Moment in ihrem Lied eingefangen haben, das hat stimmungstechnisch einfach perfekt gepasst.
War dann fast bis zur kompletten Dunkelheit unten am Strand gesessen und hab die ganze Geschichte auf mich wirken lassen und nach dem die Sonne weg war noch ein bisschen gelesen (ich hatte mich eigentlich dazu verdonnert, jeden Tag nur 25 Seiten zu lesen, damit mein Buchvorrat bis zum Ende meiner Reise reicht... klappt leider nicht ganz, wenn die Bücher so spannend sind). Die Batterie ließ ich erstmal Batterie sein und beschloss sie am nächsten Tag zu besichtigen; mit einem sehr glücklichen und zufriedenen Gefühl ging ich an diesem Tag ins Bett.
Die Überreste des "Atlantikwalls"
Am Sonntag schloss ich mich schon relativ früh dem Touristentrek (viele Niederländer, Belgier und Deutsche) an, der ab 9 an HORA vorbeizog und zu den Artilleriestellungen pilgerte. Im Verbund mit Beobachtungsposten, FLAK- und Mörserbunkern sowie einem Netz aus Landminen und Strandbarrikaden bildeten diese Befestigungen den sogenannten Atlantikwall, eine von der Organisation Todt ab 1942 errichtete Verteidigungslinie von Norwegen bis zur französischen Atlantikküste. Dabei war der "Wall" reine Propaganda, das Verteidigungssystem hatte große Lücken und wurde vor allem zur Stationierung von frontuntauglichen (d.h. alten oder verwundeten) Soldaten genutzt. Man hoffte insgeheim eher, eine potentielle Invasionsarmee durch große Truppenkontingente im Hinterland stoppen zu können.



Am D-Day verschoss diese Batterie gut 170 Granaten, ohne je ein einziges Schiff zu treffen oder selbst getroffen worden zu sein. Die gesamte Besatzung ergab sich später der Briten. Die Zerstörungen rühren von einer von den Briten versehentlich verursachten Explosion her. Ist irgendwie tröstlich.
Militärgeschichte reizt mich eigentlich nicht so sehr, aber es war gut mal einen Teil dieses ominösen Walls selbst zu Gesicht zu bekommen. Den Rest des Tages habe ich mit dem Verfassen meiner Reiseberichte und dem Blick aufs Meer verbracht. Der Ausblick aus meiner Hecktür lud dazu ein.

Abends ging es dann nochmal kurz nach Bayeux, was mit dem Fahrrad überraschend gut zu erreichen war (vielleicht 10 bis 15 Minuten Fahrt über die Landstraße). Beim örtlichen McDonalds habe ich dann versucht diese Seite hier zu aktualisieren und mal mit meiner Familie zu skypen. Ging die erste Zeit einigermaßen gut, nur irgendwann schaltet das "unlimited Wi-Fi" wohl auf stur und lässt in immer kürzeren Abständen die Internetverbindung zusammenbrechen, worauf man dann im Browser immer wieder den AGBs zustimmen muss, sodass der ganzen Aktion nach einer guten Stunde ein Ende gesetzt wurde.
Bayeux
Am nächsten Tag ging es dann richtig nach Bayeux, natürlich unter anderem wegen des berühmten Teppichs, der Tapisserie de Bayeux. Zuvor habe ich mir noch die Kirche angesehen, in der das Ding über 400 Jahre je einen Monat lang ausgestellt wurde. Leider erkennt man sogut wie nichts von der Kathedrale, die in einer eigensinnigen Mischung aus gotischen und normannischen Elementen zusammengesetzt ist. Aber wenigstens wirkt das Bild irgendwie "überirdisch".

Aus dem Tapisserie-Museum selbst gibt es leider keine Bilder, wieder aus den selben Gründen wie schon im Musée de Normandie: Meine Handykamera ist einfach zu schlecht für solche Lichtverhältnisse. Der 70 Meter lange Teppich ist ein einem großen V ausgestellt und sehr spärlich beleuchtet, damit das Material nicht zu sehr beansprucht wird. Er erzählt die Geschichte vom Verrat König Herolds an Wilhelm dem Bastard (später: dem Eroberer) und der Eroberung Englands 1066. Man bekommt am Eingang einen Audioguide, der sehr kurzweilig erzählt, was in jeder der über 50 Szenen passiert und den Betrachter in vielleicht 10 bis 12 Minuten am Teppich vorbeiführt. Danach gibt es noch eine Ausstellung zur Entstehung und zum Kontext des Teppichs, sowie einem Ausblick auf das Schicksal Englands nach Wilhelm und der glücklichen Überlieferungsgeschichte, die diese knapp 1000 Jahre alte Stoffbahn hinter sich hat. Ein kleiner Kinofilm auf Englisch oder Französisch rundet den Museumsbesuch ab. Zumindest den Audioguide zum Teppich kann man sich auch antun, wenn man gar kein Interesse an Geschichte hat, der ist wirklich gut gemacht.
Zurück auf der Straße habe ich noch ein paar Stadtansichten geknippst und bin dann weiter zum "Ersatzmuseum" für Caen, einer D-Day-Ausstellung 800 Meter entfernt vom Teppich-Museum.

Die Ausstellung war okey, wie schon gesagt interessieren mich Heerestaktik, Schlachtenverläufe und Waffentechnik nicht so sonderlich, aber das war es nunmal was die Präsentation ausmachte (incl. Dioramen mit ziemlich hässlichen Schaufensterpuppen... die Deutschen hatten durchgehend geschminkte Augen :D ). Ich hatte eher auf irgendwas aus der Perspektive der "kleinen Leute" gehofft, aber auch okey, es gab immerhin einen kurzen Teil über Kriegsjournalismus und die Zerstörungen der Dörfer und Städte. Viel Kriegsgerät war ausgestellt, v.a. Jeeps, FLAK und Panzer. Mit diesem Bild habe ich mich auch aus Bayeux verabschiedet.

Zurück am Rastplatz hatte ich entschieden, dass drei Tage vor dieser tollen Kulisse genug sein mussten. HORA sollte mal wieder ein paar Kilometer bewegt werden. Noch ein kurzes Foto, auf dem auch mal mein Campingbus posieren durfte, und los gings zum berüchtigten Omaha Beach.

Weiter geht's mit dem Reisebericht Omaha Beach bis Lingreville.